Musik im Herzen und Rhythmus im Blut
Musik im Herzen und Rhythmus im Blut
Heute arbeitet er bei ETAVIS als Hilfsmonteur an verschiedenen Elektroinstallationen, früher hat er die Leute auf der Tanzfläche mit seiner Musik elektrifiziert: Anil Montaque blickt auf eine steile Karriere im Reggae Business zurück – eine, die in der Schweiz begonnen hat.
Traumhafte Strände, karibisches Flair und Geburtsstätte der Reggae-Musik: Das ist der Inselstaat Jamaika. Hier wuchs Anil Montaque in der Stadt Montego Bay auf. Dennoch zog es ihn mit 19 Jahren das erste Mal weg vom Paradies. Sein Ziel: die Schweiz. «In unserer Kultur gehört es dazu, dass wir das Leben ausserhalb unserer Insel entdecken, um unseren Horizont erweitern zu können. Ich wollte unbedingt mehr von der Welt sehen», erklärt Anil. In der Schweiz besuchte er Verwandte, die zu dieser Zeit hier lebten und ihn für zwei Monate zu sich einluden.
Der kulturelle Unterschied hätte grösser nicht sein können. Denn statt Meer und Sonnenschein, traf Anil in der Schweiz auf Berge und kühle Temperaturen. «Die Sauberkeit war das Erste, was mir damals positiv auffiel. Ich hatte einfach ein gutes Gefühl, als ich hierherkam». Zurück in Jamaika wollte er so bald wie möglich wieder reisen und lebte einige Monate in England. Doch egal, wo er war, die Schweiz ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. So sparte Anil für ein Ticket und kehrte 2001 zurück, wo er bei Freunden lebte, die er bei seinem ersten Aufenthalt kennenlernte. Schnell war für ihn klar, dass er dieses Mal für immer bleiben möchte. Denn er hatte sein Herz nicht nur an die Schweiz verloren, sondern auch an seine heutige Frau Samia. 2004 folgte die Hochzeit, später eine Tochter und ein Sohn.
Vom Elektriker zum Musiker
Heute lebt Anil mit seiner Familie in Wollishofen. In seinem Heimatland hat er eine Ausbildung zum Elektriker absolviert, in der Schweiz arbeitet er nun als Hilfsmonteur. Seine Leidenschaft gilt jedoch seit jeher der Musik. Der 41-Jährige ist nämlich DJ, Produzent und Sänger. Die Musikrichtungen, Reggae und Dancehall, sind angesichts seiner Herkunft nur wenig überraschend, wie er selbst erklärt: «In Jamaika kannst du dich der Musik nicht entziehen, sie ist Teil der Identität. Es gibt immer irgendwo Musik in Jamaika, vor allem natürlich Reggae. Aus diesem Grund kam ich selbst schon sehr früh damit in Berührung». Mit ungefähr neun Jahren habe er vermutlich das erste Mal realisiert, dass er Musik wirklich gerne mag. Mit einem Kassettenrekorder und einem Mikrofon gab er damals kleine Konzerte für Freunde und Nachbarn vor seinem Elternhaus.
Seine Profikarriere startete der Musiker jedoch nicht etwa in Jamaika, sondern erst Jahre später in der Schweiz. «Als ich zurückkam, um definitiv hier zu leben, wollte ich neue Kontakte knüpfen und besuchte deshalb viele Partys. Ich war sehr überrascht, weil es nicht die Musik war, die ich kannte. Es schien, als wäre ich zehn Jahre in der Zeit zurückgereist», erinnert sich Anil. In Jamaika schien die Musikszene zur damaligen Zeit fortschrittlicher. Aus diesem Grund ermutigte ihn seine Frau dazu, etwas zu ändern. «Sie meinte, ich könne mich nicht immer beklagen, aber nichts dagegen tun». So fing er an, Musikgeschäfte abzuklappern, zu recherchieren und seine Lieblingsmusik als erster Reggae-Künstler überhaupt auf CDs statt Vinylplatten zu brennen. Die neuesten Songs mit Hitpotenzial erhielt er direkt aus Jamaika, da er den Kontakt zu den wichtigen Leuten vor Ort pflegte. Mit einem vielversprechenden Set fing er schliesslich an, Musik in den Schweizer Clubs, wie beispielsweise der Kanzlei in Zürich, aufzulegen.
Zusammenarbeit mit bekannten Künstlern
Eines Tages lernte Anil den Sänger «Cali P» kennen, den er ab 2006 für insgesamt sechs Jahre als DJ auf Tour begleitete. «Das war wirklich ein Abenteuer!». Danach hatte er jedoch erst einmal genug davon, als DJ zu arbeiten. Vielmehr interessierte ihn, wie ein Song überhaupt entsteht. «Als DJ habe ich die fertigen Songs zur richtigen Zeit abgespielt oder miteinander kombiniert. Nun wollte ich wissen, wie sich die Musik zusammensetzt – angefangen mit dem Beat», erklärt Anil. Da er von Natur aus ein neugieriger Mensch ist, der gerne etwas Neues dazulernt, schaute er sich stundenlang Videos an, las viel zu diesem Thema und kaufte sich dann ein Keyboard. Als der allererste Beat fertig produziert war, ist sich Anil sicher: Das wird ein Hit. Stolz zeigte er seiner Frau daraufhin das fertige Werk. «Sie meinte, jede Note sei falschgespielt, der Beat aber richtig gut.» Statt aufzugeben lernte der junge Musiker, Noten zu lesen und Klavier zu spielen. Um Kosten für die sehr aufwendige Produktion sparen zu können, brachte er sich zudem das Handwerk, darunter das Abmischen und Mastern bei der Nachbearbeitung, selbst bei.
Im Jahr 2008 gründete er als Produzent das Plattenlabel «Inspired Music Concepts». Bereits das erste Grossprojekt, der Soundtrack für einen Dokumentarfilm über den Freestyle-Skier und siebenmaligen X-Games-Gewinner Tanner Hall, wurde mit einem Preis ausgezeichnet. Zudem produzierte er Songs für den Schweizer Rapper Stress oder auch den Bieler Reggae-Künstler Cookie The Herbalist. Beflügelt vom Erfolg, zog Anil gemeinsam mit seiner Familie nach Jamaika, um dort seine Karriere weiter auszubauen. In Kingston, der Hauptstadt von Jamaika, gründete er ein zweites Plattenstudio und förderte als Produzent sowie Manager besonders junge Talente. Scheinbar an der Spitze seiner Musiker-Karriere angelangt, entschieden sich Anil und seine Frau nach vier Jahren jedoch, in die Schweiz zurückzukehren. «Ich hatte die Chance, mich einige Jahre voll auf die Musik zu konzentrieren. Dann war der Zeitpunkt gekommen, dass meine Familie Priorität hat», sagt er.
Über zwei Millionen Hörerinnen und Hörer auf Spotify
Seit 2014 schreibt Anil selbst Songs und tritt unter dem Künstlernamen «Phantom IMC» als Sänger auf. Das Debütalbum mit dem Titel «The Beginning» war direkt ein Erfolg, seine Songs wurden teilweise über zwei Millionen Mal auf Spotify gehört. Dennoch gibt er sich bescheiden: «Ich mache das nicht, um berühmt zu werden, sondern weil ich meine Musik mit der Welt teilen möchte», betont er. Seine Inspirationsquelle sei das Leben selbst, weshalb alle Songs Themen behandeln, die der Realität entstammen. «In Jamaika lernte ich, dass man für seinen Erfolg hart arbeiten muss und seine Träume verfolgen sollte, wenn man etwas wirklich will». Niemals aufgeben lautet sein Motto, das nicht zufällig auch der Titel seines ersten eigenen Songs ist.
Um sein grosses Hobby weiterhin finanzieren sowie seine Familie unterstützen zu können, suchte Anil eine Arbeitsstelle. Als gelernter Elektriker lag es für ihn nahe, dass er diesen Beruf auch in der Schweiz ausübt. Zuerst war er für ein anderes Unternehmen tätig, lernte dann aber auf einer Baustelle seinen jetzigen Chef kennen. Mit ihm verstand er sich auf Anhieb gut. Als während der Pandemie nicht sicher war, ob er seinen Job behalten konnte, ergriff Anil die Chance und bewarb sich bei ETAVIS, wo er heute sehr glücklich ist. «Die Arbeit gefällt mir und das Team ist einfach super». Daneben verbrachte er jeweils zwei bis drei Abende in der Woche in seinem eigenen Studio in Zürich. Aktuell sucht er jedoch eine neue Räumlichkeit, da der Mietvertrag letztes Jahr ausgelaufen ist.
Vom weit gereisten Musiker zum sesshaften Familienvater: Seiner Karriere als Profi-Künstler trauert Anil heute nur sehr selten nach. «Meine Zeit wird kommen, wenn die Kinder grösser sind. Dann werde ich sicher wieder mehr Musik machen. Ich habe schliesslich noch einige gute Songs auf Lager», freut er sich. Auf der Baustelle sei er zwar bereits dafür bekannt, dass er immer singt. Von seiner musikalischen Laufbahn wissen aber nicht viele. Dennoch gibt es Momente, da wird er wieder an seine erfolgreiche Zeit erinnert. Dann nämlich, wenn doch jemand von seinem Talent erfährt und aus dem Baustellenradio plötzlich seine Songs erklingen.
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